Im Laufe meiner über 20-jährigen Forschung und Praxis im Bereich der Lern- und Begabungsförderung haben sich folgende Leitideen entwickelt (Stand: Januar 2021):
- Im Mittelpunkt steht das Gesamtwohl des Kindes bzw. Jugendlichen. Zeugnisse zeigen nur einen Ausschnitt der kognitiven Leistungsfähigkeit und selten die vorhandenen Potentiale. Lernen, Bildung, Coaching müssen alle Dimensionen erfassen: Denkvermögen, emotionale Balance, soziale Fitness, gesundheitliche und ökologische Vernunft etc. Schulischer Erfolg ist auch keine Garantie mehr für eine berufliche Karriere, Digitalisierung, Biotechnologie und Co werden die Berufswelt völlig verändern – auch bisher lukrative Jobs werden wegfallen. Das Bildungssystem kann – beim besten Willen der Akteure – mit diesem Veränderungs-Tempo mithalten.
- Das Kind bzw. der Jugendliche ist nie das Problem! Das Denken und Verhalten des jungen Menschen ist geprägt sowohl von den genetischen Voraussetzungen als auch den sozialen Lernimpulsen. Diese stammen aus der Familie, dem Kindergarten und der Schule sowie dem Freundeskreis oder den Erlebnissen in einem Sportverein etc. Heute überlagern oder verdrängen die Effekte der elektronischen Medien und sozialen Plattformen in erheblicher Weise diese klassischen Lern- und Entwicklungsreize.
- Alles ist subjektiv und hat seine Zeit! Es macht keinen Sinn, irgend welche Vergleiche mit den Leistungen oder dem Entwicklungs-Tempo anderer Kinder/Jugendlichen zu ziehen – weder im motorischen noch im sozialen oder kognitiven Bereich. Normen können hilfreiche Orientierungen sein – nicht selten erbringen aber gerade „Spätzünder“ überragende Leistungen. Es kommt auch vor, dass die Werte, Vorstellungen und Erwartungen der Eltern im Widerspruch zu denen des jungen Menschen stehen oder die Eltern sich uneins sind. Das birgt ein erhebliches Stresspotential, welches einen harmonischen Lernprozess be- oder gar verhindert.
- Lernen mit dem ganzen Hirn! Die moderne Hirnforschung macht deutlich, dass psychosoziale Aspekte wie auch motorisch-koordinative Fertigkeiten („Embodiment“) von erheblicher Bedeutung für die insgesamt gelingende Entwicklung sind. Auch Faktoren wie Ernährung oder Schlafqualität spielen eine weithin unterschätzte Rolle! Ein gesunder Lernerfolg ist nur in Balance all dieser Faktoren möglich!
- Phänomene wie „Intelligenz“, „Hochbegabung“ oder auch „AD(H)S“ bedürfen eines genaueren, differenzierten bzw. erweiterten Verständnisses.
- Intelligenz ist gerade nicht nur eine rein kognitive (Wissens-)Kompetenz. Hier wird Intelligenz verstanden als Fähigkeit und Bereitschaft, Probleme zu lösen. Und dabei ist zu berücksichtigen, dass die Qualität der Problemstellungen immer komplexer wird. Somit rückt Intelligenz näher an Begriffe wie „Vernetztes Denken“ – und wird damit auch erst seiner Wortbedeutung gerecht: „inter-legere“ = zwischen mehreren Fächern lesen“, Zusammenhänge erkennen. Intelligenz basiert auf einem vielfältigeren Spektrum – wie es etwa Howard Gardner in seinem Ansatz von der „Multiplen Intelligenz“ vertritt. Auch der Begriff der „Exekutiven Funktionen“ und deren Ausprägung erscheint alltagstauglicher.
- Hochbegabung an einem Intelligenzquotienten abzulesen, der nur Teile des gesamten Intelligenzspektrums abbildet, ist überholt. Es ist zudem ein Etikett, dass sowohl das Kind als auch die Eltern ebenso stolz machen wie belasten und sogar von Ausgrenzung bedrohen kann. Lehrkräfte stehen unter Erwartungsdruck, wollen oft individuell fördern, müssen aber alle Schüler:innen im Blick behalten – schwierig!
- „AD(H)S“ ist weit weniger genetisch bedingt als die Folge einer Vielzahl möglicher Faktoren. Diese reichen – gerade bei Jungs – von Bewegungsmangel über Fehlernährung oder übermässigen Medienkonsum hin zu unerkannten Begabungen oder schlicht Stress in der Familie oder Schule; nicht selten mangelt es einfach an Strukturen und Konsequenzen – „Vaterlosigkeit“ ein tiefes Thema! Deshalb ist eine medikamentöse Behandlung in den allermeisten Fällen deplatziert bis kontraproduktiv. Auch werden dabei die „Kollateralschäden“ übersehen – wie etwa der Verlust an Kreativität oder der Dämpfung von überdurchschnittlichen Begabungen. Der lernwirksame Schlaf wird oft gestört. Übrigens: Sehr viele herausragende und bewunderte Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen zeigten oder zeigen „AD(H)S“-Symptome!
- Achtung Talentfalle! Es ist immer erfreulich und bewundernswert, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher überdurchschnittliche Begabungen zeigt – ob im Sport, in der Musik, in der Mathematik oder anderswo. Es fällt ihm alles leicht, leichter als anderen. Das Problem: Wenn nicht auch eine innere Motivation und gesunde Disziplin einher gehen, werden die Talente überflügelt von denjenigen, die vielleicht weniger begabt, aber stärker motiviert und disziplinierter waren. Auch hier macht’s die Balance!
- Die „8 C-Kompetenzen“ sind angesagt (Quelle: Robinson & Aronica 2015)
Curiosity = die Fähigkeit zur Neugierde, Fragen zu stellen, zu erkunden, wie die Welt funktioniert Criticism = die Fähigkeit, Informationen zu filtern, Ideen zu analysieren, begründete Argumente und Urteile zu entwickeln
Communication = die Fähigkeit, Gedanken und Gefühle klar und selbstbewusst in einem breiten Spektrum von Medien zu vermitteln (Achtsame Kommunikation mit Kindern)
Collaboration = die Fähigkeit, respektvoll und konstruktiv mit anderen zusammen zu arbeiten
Compassion = die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen und entsprechend angemessen zu handeln
Creativity = die Fähigkeit, Probleme zu lösen, neue Ideen zu entwickeln und sie in der Praxis anzuwenden
Composure = die Fähigkeit, sich mit der inneren Welt der Gefühle zu verbinden und einen Sinn für persönliche Harmonie und Balance zu entwickeln
Citizenship = die Fähigkeit, sich konstruktiv an der Gestaltung einer nachhaltigen Gesellschaft zu beteiligen
- Der Weg ist das Spiel! Eine spielerische Einstellung, eine Balance von Ergebnis und Erlebnis, Regeln und Risiko, die Fähigkeit zu Präsenz und Fokus, vor allem die Bereitschaft, mit ständig veränderten Situationen umzugehen, ist der Weg in eine gesunde Zukunft!